Verlässliche Strukturen bröckeln. Strategien, die gestern noch galten, greifen nicht mehr. Und viele Führungskräfte stehen vor der Frage: Wie kann ich entscheiden, wenn die Zukunft offen ist – und alles ständig im Wandel?

Ungewissheit ist kein Ausnahmezustand mehr. Sie ist Teil der neuen Normalität. Doch während klassische Führungskonzepte auf Planung und Kontrolle setzen, braucht es heute etwas anderes: Beweglichkeit. Klarheit im Handeln. Und die Fähigkeit, mit dem zu gestalten, was da ist – statt auf die perfekte Lösung zu warten.

Genau hier setzt Effectuation an.

Wenn Planbarkeit an ihre Grenzen stößt

In der traditionellen Managementlogik ist Führung eng mit Zielvorgaben, Planbarkeit und Steuerung verbunden. Das funktioniert gut in stabilen Umfeldern. Aber was, wenn sich Märkte verschieben, Erwartungen sich ändern und Entscheidungen unter Unsicherheit getroffen werden müssen?

Viele Führungskräfte erleben derzeit genau das: Alte Routinen greifen nicht mehr. Gleichzeitig steigt der Druck, Orientierung zu geben. Doch wie führt man, wenn die Richtung selbst noch nicht klar ist?

Effectuation – ein Konzept aus der Entrepreneurship-Forschung – bietet eine Antwort.

Effectuation: Handeln mit dem, was da ist

Statt auf Prognosen und Kontrolle setzt Effectuation auf vier Prinzipien, die besonders in unsicheren Kontexten wirksam sind:

  • Mittelorientierung: Nicht: „Was ist mein Ziel?“ – sondern: „Was kann ich mit dem, was ich zur Verfügung habe, schon jetzt bewegen?“
  • Verlustbegrenzung: Entscheidungen werden nicht nach maximalem Gewinn getroffen, sondern danach, was man sich leisten kann zu riskieren.
  • Partnerschaften: Zusammenarbeit wird nicht nur geplant, sondern entsteht ko-kreativ mit denjenigen, die bereit sind, mitzuwirken.
  • Zukunft gestalten statt vorhersagen: Wer handelt, prägt mit – auch ohne die Zukunft zu kennen.

Diese Denkweise wirkt zunächst ungewohnt. Aber sie führt zu einem Führungshandeln, das nicht blockiert ist von Unsicherheit – sondern durch sie hindurchführt.

Führung bedeutet in unsicheren Zeiten: Möglichkeitsräume öffnen

Ich begleite Führungskräfte, die lernen wollen, mit weniger Sicherheit souveräner umzugehen. Sie müssen nicht alles wissen. Aber sie brauchen Klarheit über das, was sie beeinflussen können – und die Fähigkeit, andere zum Mitdenken und Mitgestalten einzuladen.

Ein Beispiel aus meiner Praxis: Eine Bereichsleiterin in einem sozialen Unternehmen stand vor einer tiefgreifenden Umstrukturierung. Vieles war unklar, politische Rahmenbedingungen wechselten. Statt auf die fertige Strategie zu warten, begann sie, mit dem Team erste kleine Schritte zu gestalten – basierend auf vorhandenen Kompetenzen und einer klaren Kommunikation darüber, was im Moment möglich ist. Das brachte Bewegung – und Vertrauen.

Was Organisationen daraus lernen können

Effectuation ist kein „Notbehelf“, sondern eine Haltung. Wer sie kultiviert, baut Strukturen auf, die sich auch in bewegten Zeiten bewähren. Führung wird dabei weniger zur Steuerung von Prozessen – und mehr zur Gestaltung von Beziehungen, Dynamiken und Lernräumen.

Gerade im organisationalen Wandel zeigt sich: Menschen folgen nicht denen, die alles im Griff haben wollen. Sondern denen, die mutig und verantwortungsvoll mit Unsicherheit umgehen – offen, verbindlich und handlungsbereit.


Fazit: Führen unter Ungewissheit heißt nicht, alles zu wissen – sondern mit dem zu handeln, was tragfähig ist

Effectuation ist ein wirksamer Ansatz, wenn es keine Blaupause gibt.
Für Führungskräfte eröffnet er einen Weg, in der Unsicherheit handlungsfähig zu bleiben – durch Klarheit im eigenen Tun, bewusste Entscheidungen und vertrauensvolle Kooperation.

Wer in unsicheren Zeiten gut führt, orientiert sich nicht an festen Pfaden. Sondern an dem, was sinnvoll ist – jetzt, hier, mit den Menschen, die bereit sind, mitzugehen.